Joseph Anton Koch und der Schmadribachfall – Heroische Landschaften
Über allen Reizen italienischer Natur vergaß Joseph Anton Koch nie seine Jugendzeit als Hirte, umgeben von der großartigen Natur der Alpen. Nachdem er, geschult durch die große Form römischer Landschaft, seinen Stil gefunden hat, kann er seinen Bergen ein gewaltigeres Preislied anstimmen als etwa im nahgesehenen Hamburger Wasserfall von 1796 oder noch in der Via Mala von 1804. Im selben Jahr 1805, in dem Koch im Regenbogenbild die Neuschöpfung der italienische heroischen Landschaft gelang, begann er nach einem frühen Aquarell aus der Schweiz sein erstes großes Alpenbild, die heroische Alpenlandschaft des Schmadribachfalls, die zu den Kostbarkeiten des Leipziger Museums gehört.
Aber da alles im Künstler organisch wachsen und reifen muss, so vollendete er erst Mitte 1811, erfüllt von neuer Naturanschauung, seine Landschaft, von der Freund Langer in München eine schöne Beschreibung erhält:
Eine sozusagen prachtvolle Wildnis mit Gletscherkaskaden, Wolken, welche zum Teil die Gebirge umschleiern, machen den Hintergrund aus; In der Mitte befindet sich ein undurchdringlicher Wald von Tannen und anderem wilden Gewächs und Felstrümmern und stürzenden Wassern vermischt. Der Vordergrund ist die Tiefe des Tales, von frischem Grün erfreut, mit dem brausenden Strom der Steinberg Lütschüne, in welch sich oben gedachte Wasser stürzen. Der ich aus einem solchen Bergland geboren bin und mich selbst als Kind solcher majestätischer Natur schon immer freute und deren Erinnerung mir noch jetzt tief eingeprägt ist. Auch besitze ich sehr fleißige Zeichnungen nach der Natur hiervon.
Und mit Bezug auf die Münchner Kritiker seiner Georgslandschaft fügt Koch bei:
Hier wird mir wohl niemand vorwerfen, daß ich irgendeinen Meister nachgeahmt habe; werde sicher der einzige sein, der mit dieser Individualität und Lebendigkeit diese Gattungsauftritte dargestellt hat.
Wirklich ist der Künstler hier “der einzige”, und sein kühnes Werk, das zu seinen Hauptleistungen gehört, stellt ihn an den Beginn einer neuen Entwicklung des Alpenbildes.
Der “Schmadribachfall” ist zugleich ein Markstein im Werden des modernen Lebensgefühls. Koch hat nicht mehr wie seine Vorgänger ein heimliches Grauen vor den wildzerklüfteten Alpen – noch Wilhelm Tischbein sah vor allem den Schrecken der ungewohnten Bergwelt -, sondern in ihm ist nur ein großes Staunen vor dem gigantischen Wuchs der Berge, er sieht in ihnen das Gewaltige und Erhabene. Streng frontal baut sich die Gletscherlandschaft auf und reicht mit den Schneegipfeln des Groß- und Breithorns fast bis an den oberen Rand des Bildfeldes in den schmalen blauen Himmel hinein, über den grauen Wolkenschwaden ziehen. Vom Firn des Schmadrijochs her stürzt der Wasserfall, an beiden Seiten von dünnen Rinnsalen begleitet, über das gleichmäßig geschichtete, abgetreppte graue Urgestein in eine tiefe, trichterförmige Schlucht. Dann legt sich ein dunkelgrüner, massig geschehener Tann wie ein breiter Gürtel um das Massiv und hemmt die Wucht der überhängenden Felsen. Der Bach schießt durch den Wald, daß Gischt und Wasserdampf aufspritzt – ein Helligkeitswert im Dunkel -, erscheint wieder ganz links unten und fließt in einem großen Bogen nach vorn. Auf dem grünen Talgrund weiden Hirten ihre Herden und ein Jäger verfolgt das Wild. Die Ufer des Baches sind markiert durch Felsblöcke und Kiesel, sturmzerzauste Stämme und niederes bräunliches Buschwerk. Auf seitliche Kulissen konnte Koch hier ganz verzichten, da der Bildaufbau in sich harmonisch und festgefügt ist. Mit der großen Form eint sich das strenge und ernste Kolorit, das in der späteren Fassung in München neu aufblüht.
Im “Schmadribachfall” hat der Meister dem neuerwachten Empfinden für die Größe der Alpennatur als erster monumentale Gestaltung verliehen. Aus der Erinnerung und Erfahrung heraus steigert der Künstler in Rom, fern von der Heimat, die Alpen zu einsamer Wucht und Größe und zeigt damit, dass nicht nur die südliche Natur, sondern auch das Hochgebirge sich den Gesetzen natürlicher Schönheit fügt. Die Landschaft ist, im Gegensatz zu den frischen Naturskizzen der Schweizer Zeit, heroisch empfunden wie das Regenbogenbild und zu einem großen Stil geformt. Ohne Effekt und Pose, ohne Unruhe und Wildheit, deren das Heroische nicht bedarf, ist alles vom menschlichen Bereich, vom Talgrund aus entwickelt. Klein gebildet ist der Mensch und gibt doch den Größenmaßstab für das Ganze. Die innere Wesensart des Künstlers ist rein ins Gemälde eingegangen. Er hat die Vielheit der Formen zur grandiosen Einheit gezwungen. Die Mittel von Kochs Kunst sind wiederum Rhythmus und Größe seiner Linienführung, klar geschichtete Ordnung der Massen und Flächen und entsprechende Abstimmung der Farben in geschlossenen Stücken. So baut und richtet der Künstler die Landschaft, die er mit seiner Phantasie durchdrungen hat, zu einer neuen Dichte und Geschlossenheit der Form, die beglückend und befreiend auf den Beschauer wirkt. Erst Ferdinand Hodler gelang es wieder mit ähnlichen Stilmitteln, die Erhabenheit des Hochgebirges künstlerisch zu bezwingen, während William Turner, der Zeitgenosse Kochs, mit seiner malerisch aufgelockerten, jede Formation verschleiernden Art, erst recht jedoch die Maler des Impressionismus, dieser Aufgabe nicht voll gewachsen sein konnten. Gerade vor der Schöpfung des Schmadribachfalls möchte man Rumohrs Worte wiederholen: “In der Landschaftsmalerei ist Koch Stifter; er hat gelehrt, den Erdformen Bestimmtheit, Charakter und Körper zu geben.”
(Auszüge aus: Joseph Anton Koch, Otto von Lutterotti, Mai 1944)
Links und Infos zum Thema Schmadribachfall Gemälde von Koch
Komposition – Musteranalyse – Kusem – München
Joseph Anton Koch, „Der Schmadribachfall“, 1821/22,
Öl auf Leinwand, 131.8 x 110 cm,
München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek
Faszination Hinteres Lauterbrunnental, Andreas Wipf, Zürich
Bastelbogen: Joseph Anton Koch malt den Schmadribachfall
Buchempfehlung: Joseph Anton Koch – Der Schmadribachfall
Hilmar Frank