Barbizon im Licht der Niederlande
Zum Verständnis der französischen Landschaftsmalerei genügten nicht die Klassizisten des Südens, genannt „Meridionaux“ die die italienische und französische Tradition weiterführten. Um 1800 wird ein zweiter Stil richtungsweisend, dem Norden entlehnt, durch die sog. ‘Septentrionaux’, die den niederländischen und flämischen Werken des 17.Jh. nacheiferten. Gemeinsam war beiden Richtungen das Anknüpfen an eine Malerei großer Vergangenheit: an das ‘goldene Zeitalter’ der Niederländer oder den Inbegriff der „Klassischen Landschaft“ Italiens eines Poussin.
Schon vor der Revolution war die Begeisterung für holländische Bilder aufgeflammt. Sie galt als Ausdrucksmedium des neu-erwachenden und erstarkten Bürgertums; mit der neuen politischen Situation Hollands unter französischer Herrschaft wurde dies noch verstärkt. Genre, Landschaft- und Schlachtenszenen in Art der Niederländer waren Mode. Wir wählen als Beispiel Michel-Haman Duplessis, der Lehrer des Michel Freundes Swebach war. Er komponiert im Geschmack der Zeit vor fein gemaltem, hellen Cuypschen Landschaftshintergrund Landsknechtszenerien im Stile Wouwermans.
Im Vordergrund dieser Maler stand Anknüpfen und nicht Erneuerung des Althergebrachten, und dies ließ sich ausgesprochen gut verkaufen.
Genau in dem Umfeld entwickelt sich das Kunstschaffen von Georges Michel, der von enormen Einfluss auf die Maler in Barbizon war. Als Restaurator und Kopist holländischer Gemälde des 17. Jhs. im Auftrag von Kunsthändlern, Sammlern und später evtl. für das Musée Napoléon, ist er engstens mit diesem Landschaftstypus vertraut. Politisch Verehrer Mirabeaus und Robespierres, zieht er um 1790 mit seinem Freund, dem Landschaftsmaler Lazare Bruandet, nicht nur durch die Kneipen von Paris, sondern auch in die umliegenden Wälder, gleichsam um Ruisdaehl in Fontainebleau zu suchen. Durch diesen lernt er wohl die Hauptvertreter der ‘Septentrionaux’ kennen und arbeitet folgend mit Demarne, Taunay und Swebach zusammen, indem er in deren Bildern den Landschaftshintergrund malt, bzw. sie die Staffagefiguren für seine Landschaften liefern. Als er sich von den genrehaften oder historisierenden Bilderzählungen emanzipiert, hält er das „leere Landschaftsbild“ fest, verewigt Wolkengebirge, unendliche Weiten und markante Windmühlen. Von nun an ist sein thematischer Rahmen eng gesteckt, er hat sich wie viele seiner Kollegen spezialisiert. Er skizziert in der Umgebung von Paris, soll die Mühlen von Montmartre festhalten, nur selten findet man in seinen Bildern die topographisch definierte Kulisse wie die Kathedrale von St. Denis, sondern bevorzugt den Ausblick in die undefinierte Ferne.
Nur da den klassizistischen Normen entgegengesetzt, kann dies nicht als fortschrittlicher Naturalismus interpretiert werden. Er knüpft mit seiner Schilderung der Dünen und Ebenen in reduzierter Formensprache an Jacob van Ruisdaehl oder Jan van Goyen an, beherrscht die atmosphärische Einheit durch monochrome, grisaillenhafte Tonigkeit, findet unzählige Nuancen von Braun, Weiß, Grau und Beige, die ganze Palette von Schwefelgelbtönen.Er arbeitet mit dem Hell – Dunkel Rembrandts und seine Bild bestimmenden Baumgruppen können selbigen nicht verleugnen.
Formeln, wie der tiefgesetzte, niedrige Horizont eines Konincks, der typische fehlende seitliche Bildabschluß, die Anlage von Landschaft in waagrechte Streifen, oder der erhöhte Standpunkt des Bildbetrachters sind Anknüpfungspunkte an die niederländischen Vorbilder.
Auf seinen Streifzügen hält er auf Tabakblättchen seine Beobachtungen der Natur fest, malte oft auf Papier, die er auf Leinwand oder Holz aufzog; vor allem sucht er Himmelstimmungen. Wie für Constable, der sich ebenso auf diese Wurzel beruft, wird für ihn der Himmel der Schlüssel zum Landschaftsbild.
Wenn sich in späten Bildern nach 1827 schwere, grauschwarze Himmel mit pastosen Farbauftrag und unruhigen, expressiven Pinsel über das Land legen, nur noch vereinzelt Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke brechen und den Boden mit seinen Unebenheiten plastisch beleuchten, zeugen diese Gewitterstimmungen nicht nur vom ästhetischen Klima der Romantik mit der Vorliebe für das gewaltige Naturschauspiel. Er musste auch mit den Gewalten des Schicksals kämpfen, dramatisch war seine Familiensituation: nach und nach holte der Tod all seine acht Kinder und schließlich seiner Ehefrau.
Michel steht mitten auf dem Weg zu einem neuen Bild von Landschaft. Dupré, der den fast in Vergessenheit geratenen Michel um 1840 wieder entdeckt, beschreibt seine Sicht 1873 an Sensier:
„Michel ist der erste französische Landschaftsmaler, der den Weg auf das Land genommen hat, um seine Bilder zu malen. Auch erweckt er in unserem Geiste den Gesang der Lerche, wenn er uns in seine weiten Ebenen führt , die so eigenwillig beleuchtet sind in ihren Wolkeneffekten. Dieser Meister hat die ländliche Poesie, daß man seine Bilder auf den ersten Blick erkennt.“.
Auch wenn er nicht als Urvater eines Naturalismus gelten kann, beginnt gerade mit seiner Person ein retrospektives Spiel von Kunstkritik und Kunsthandel. Das berühmt gewordene Zitat von Théophile Thoré von 1846 verdeutlicht exakt die agitatorische Polemik dieser Zeit in der generellen Ablehnung des offiziellen, regierungskonformen Akademiebetriebs:
„Während sich Michel am Stadtrand von Paris durchschlug, war Bidault (sic) Mitglied des Instituts“
Wie Bühler zu recht bemerkt, war letzterer zu der Zeit mittelloser Student in Rom und keineswegs angesehenes Mitglied des Instituts. Michel aber wird zum „Typus verkannter, verarmter Künstler“stilisiert, den man folgend oft im 19. Jh. finden wird und dessen Inbegriff van Gogh werden sollte. Von nun an waren die kunstkritischen und kunsthistorischen Fronten gesteckt und die Messer gewetzt.
Valenciennes formuliert die Wertigkeit zwischen der historischen und pastoralen Landschaft mit der natürlichen Landschaft, dem „paysage-portrait“. Sein geistiger Nachfolger Desperthes sah die paysage-champêtre fast als ebenbürtig an. Und im Zuge der romantischen Bewegung, dem Einfluß der ebenso von Holland beeinflußten Engländer, konnte man die nördlich-inspirierten Landschaften ohne weiteres in die Kategorie des Pittoresken der Romantiker einordnen.
Als sich die neue Malergeneration von 1830 formierte, mit Corot, Rousseau, Dupré, Flers, u.a. konnten sie auf diesem breiten Fundament aufbauen. Ihre einst innovativen Vorgänger stagnierten jedoch in den überlieferten Bildformeln und in einem alten Wertesystem, das der jungen Generation eines politisch – unbeständigen Milieus nicht mehr angebracht schien, boten damit ihren Kritikern eine breite Angriffsfläche. Die Jungen aber waren weiter auf der Suche nach einem neuen Bild von Natur.
Und wie ein circulus vitiosus schließt sich der Kreis zurück nach Holland , wenn Gerad Billers 1860 schreibt:
“…Ich sah dort Gemälde , von denen ich geträumt hätte, und fand dort alles , was mein Herz begehrt und was ich fast immer bei den hölländischen Malern vermisse. Troyon, Courbet, Diaz, Dupré, Robert Fleury, Breton haben mich sehr beeindruckt. Jetzt bin ich wahrlich französisch, aber (…)indem ich wahrlich französisch bin, bin ich wahrlich holländisch, denn die großartigen Franzosen von heute haben mit den großartigen Holländern der Vergangenheit viel gemeinsam. Die Einheit und Ruhe, der Ernst und ganz besonders die unaussprechliche Vertrautheit mit der Natur.“
Der Artikel „Von Rom zu Barbizon“ stammt aus der Feder von Dr. Georg Fresen und Frau Sigrid Brusis (Dumann). Sie finden die komplette Studie in einer PDF.-Datei mit allen Fussnoten und Quellennachweisen: